Peter Bochynek: Mythos Ruhrgebiet

   
         
   
Peter Bochynek: Mythos Ruhrgebiet ( Dezember 2014)
   
   

 

1. Das Ruhrgebiet: Begriff, Mythos und Heimat?

2. Mythos Ruhr, Emscher oder Rhein?

3. Menschen im Ruhrgebiet

4. Mythos Industriegigant

5. Die Farben des Mythos

6. Manifestationen des Mythos

7. Mythos und Sündenfall

8. Wirtschaft und Politik heute. Das Ende des Mythos?

9. Mythos Zukunft?

   
   

 


1. Das Ruhrgebiet: Begriff, Mythos und Heimat?

Mythos Ruhrgebiet, was ist das? Viele sprechen davon, doch kaum einer weiß Genaueres. Hier gilt es nun, die Hintergründe des Mythos zu erhellen und auch noch die Fragen zu klären: Gab es den Mythos wirklich? War er wirklich so groß? Hat er eine Zukunft? Ist er noch lebendig? Oder ist er wieder auferstanden? Oder ist der Mythos nur noch Erinnerung oder gar Illusion?
Nun, das Ruhrgebiet existiert wirklich. Im 19. Jahrhundert wurde es zum größten industriellen Zentrum Preußens und heute bildet es die Mitte des Landes Nordrhein-Westfalen. Die größten Städte dort sind Dortmund, Essen und Duisburg. Die Grenzen des Ruhrgebiets wurden aber nie genau festgelegt, und die Entwicklung zu eine Metropole wie Berlin war nie im Interesse der Mächtigen von damals bis heute. Man könnte dagegen meinen, das Ruhrgebiet benötige gar keine Grenzen, weil es mit der ganzen Welt interagiere.
Heinrich Böll schreibt 1960: "Entdeckt ist das Ruhrgebiet noch nicht. Es bleibt Mythos oder Begriff und ist doch Heimat, so geliebt wie jede andere Heimat." Auch die Identität eines typischen Ruhrgebietsmenschen lässt sich keineswegs exakt eingrenzen, und so lässt sich auch niemand so eben mal ausgrenzen. Es bieten sich also genügend Ansätze für die Legenden- und Mythenbildung, denen hier nachgegangen werden soll.


2. Mythos Ruhr, Emscher oder Rhein?

Das Ruhrgebiet wird im Westen vom Rhein durchflossen, der von je her als mächtiger Strom Gegenstand der Mythenbildung war. Bereits im mittelhochdeutschen Nibelungenlied des Mittelalters spielt er eine wichtige Rolle, weltbekannt ist Richard Wagners Oper "Rheingold" (1869). Legendär die Lyrik zum Rhein. Die übrigen Flüsse des Ruhrgebiets spielen in der Literatur keine besondere Rolle. Sogar die Benennung des Ruhrgebiets, hier kurz "Revier" genannt, nach dem Fluss Ruhr ist eher etwas irreführend. Der Bergbau begann vor 200 Jahren an der Ruhr, hatte hier wohl sein erstes Zentrum, um später nach Norden zu wandern. Heute sehen wir die Ruhr als südlichen Fluss des Reviers an und die Lippe als nördlichen, die von extremen industriellen Eingriffen verschont geblieben sind und intakte bis idyllische Landschaften durchfließen. Der Fluss aber, welcher eigentlich das Schicksal der Mythos-Industrielandschaft widerspiegelt, ist die Emscher, welche mitten durch das Revier fließt. So wurde für das Ruhrgebiet auch schon der Name Emscher-City genannt, was sich aber im allgemeinen Sprachgebrauch nicht durchsetzen konnte. Die Emscher mäanderte vor der Industrialisierung eine landwirtschaftlich geprägte Landschaft, sie bot Trinkwasser und war reich an Fischen. Im Zeitalter der Industrialisierung wurde die Emscher immer stärker durch ungeklärte Abwässer aller Art verschmutzt, sie war bereits 1880 biologisch tot. Durch Überschwemmungen des flachen Emschertals kam es zu Epidemien. Der 1899 auf staatlichen Druck gegründeten und 1904 per preußischer Gesetzgebung legitimierten Emschergenossenschaft gelang es tatsächlich, die Probleme zu lösen, indem die Emscher systematisch mit Beton kanalisiert und zu einem gewaltigen System der Reinigung und Abführung sämtlicher Abwässer des Kern-Ruhrgebietes ausgebaut wurde. Ab den 1960er Jahren ging die Schwerindustrie immer stärker zurück, zunächst der Bergbau und folgend die Stahlindustrie. So konnte die Genossenschaft mit Rückendeckung des Gesetzgebers mit dem Ende der Bergsenkungen etwa 1999 beginnen, die Emscher zu renaturisieren. Bis zur Vollendung dieses wahrhaft riesenhaften Projekts im Jahr 2020 werden 4,5 Milliarden Euro investiert worden sein. Die Abwässer werden dann erstmals in der Geschichte des Ruhrgebiets vollständig unterirdisch kanalisiert abgeführt. In die Emscher gelangt dann nur noch einwandfrei geklärtes oder natürliches Wasser, gleichzeitig wird die Emscher wieder ein natürlich aussehender Flussverlauf zurückzugeben. Ein Muster-Masterplan: Die Emscher wird wieder leben -ist das nicht Stoff für einen Mythos Emscher?


3. Menschen im Ruhrgebiet

Die vermutlich stärkste Säule des Mythos Ruhrgebiet bilden die Menschen, die hier leben. Eine große und bunte Vielzahl von Menschen unterschiedlichster Nationen sind seit der Industrialisierung der Region gekommen, um hier zu arbeiten und zu leben. Im Ruhrgebiet gab es früher so viel (bezahlte) Arbeit, dass der Zuzug ökonomisch Sinn machte. Und der Zuzug war gewaltig, obwohl die zu vergebende Arbeit, die "Maloche" oft hart, gefahrvoll und schmutzig war, zudem rund um die Uhr in drei Schichten, 364 Tage im Jahr zu leisten war. In den Zechen, Kokereien, Hochofenbetrieben, Stahlwerken, Gießereien, Walzwerken usw. herrschten heute unvorstellbare Arbeitsbedingungen, und doch waren die Arbeitenden stets stolz auf ihre Leistungen und auf ihren Betrieb. Die Zeche wurde liebevoll "Pütt" genannt. Pflichtbewusstsein wurde großgeschrieben; Einsatz, Solidarität und Verlässlichkeit in Arbeit und Nachbarschaft war ungeschriebenes Gesetz.
Die überaus große Identifikation mit dem Krupp-Hüttenwerk Duisburg-Rheinhausen wurde der Welt vor Augen geführt, als der Krupp-Konzern 1987 das Ende einer 100-jährigen Industrietradition verkündete. Mit Demonstrationen und Aktionen aller gesellschaftlichen Gruppen versuchten die Menschen der Region leidenschaftlich, das Ende des Werkes zu verhindern- letztendlich vergeblich. 16000 Arbeitsplätze gingen bei Krupp verloren, 4000 Arbeitsplätze entstanden durch das neu errichtete Logistikzentrum am Rhein am historischen Standort bis 2014. Was bleibt, ist der Mythos von einem großen Kampf ... und die "Brücke der Solidarität" über den Rhein.
Kaum eine Region Deutschlands ist ein solcher sozialer Schmelztiegel, kaum eine andere Region hat solch eine praktische Integrationsleistung erbracht. Natürlich ist nicht alles perfekt gelungen, es gibt Probleme mit Ansätzen zu Parallelgesellschaften und mit der größten Partei, den Nichtwählern. Insbesondere in der letzten Zeit werden einigen Städten besondere Lasten aufgeladen -aber dennoch bleibt man im Revier hilfsbereit und weltoffen, jeder soll hier seine Chance haben.
Neben der Maloche gab und gibt es zum Ausgleich eine große Breite an Freizeittätigkeit, der Ruhrgebietsmensch ist überwiegend gesellig. Die Arten der Geselligkeit sind vielfältig und bunt, Kommunikation ist immer wichtig und natürlich "Einigkeit macht stark". Neben traditionell starken Veranstaltungen wie Volksfesten, Messen, Märkten, Stadtfesten, Tanzveranstaltungen im großen oder kleinem Kreise steht ganz oben die sehr ernsthafte Betätigung in einer Vielzahl unterschiedlichster Vereine. Die Themen der Vereine reichen von der Tierhaltung über Schrebergarten, Fußball (sehr wichtig!), andere Sportarten bis hin zu Bürgervereinigungen (Brauchtum, Erinnerungskultur), Gewerkschaften und Parteien. Auch heute soll jeder im Ruhrgebiet nach seiner Fasson (Preußenkönig Friedrich II., 1740) glücklich werden können. Friederich II. hatte dabei klar gestellt, dass die Pflichten als Staatsbürger Vorrang vor allem haben.
Der Mythos Ruhrgebiet lebt weiter in seinen Menschen und ihren Erinnerungen.

 

4. Mythos Industriegigant

Die Industrieanlagen, welche an Rhein, Ruhr und Emscher die Region seit der Industrialisierung im großen Maße ihren Stempel aufprägten, hatten riesige Dimensionen. Diese sind aber nur noch in wenigen heutigen Industrielandschaften erhalten. Vor allem in Duisburg existieren noch aktiv produzierende Hochöfen, Stahlwerke, Walzwerke, Kokereien und Kraftwerke. Einige Stadtteile Duisburgs entsprechen auf diese Weise noch soeben dem früheren, weitverbreiteten Landschaftstypus "Industrielandschaft". Der Mythos Ruhrgebiet entwickelte sich aus den hier noch wirklich in Realität zu erlebenden Riesen-Dimensionen seiner Industrie! Wenn man sich vor Augen hält, dass allein ein Hochofen in Duisburg bis zu 10.000 t Roheisen am Tage erschmelzen kann und mit seine Höhe von 60 m weithin die Landschaft überragt. Die größten Kirchen von Duisburg kann man leicht übersehen in der Umgebung eines Hochofens und seiner Nebenanlagen, weil diese riesengroßen Aggregate zur Roheisenerzeugung die Landschaft hier in einem viel größerem Maße prägen als die Kirchengebäude. Gewaltige Abmessungen weisen auch die zur Stahlerzeugung eingesetzten LD-Konverter auf. Hier haben wir Reaktionsgefäße, die in einer Charge auf einen Schlag 500 t oder mehr Roheisen bzw. Rohstahl fassen können. Gewaltige Reaktionen beim Frischen des Stahls durch reinen Sauerstoff resultieren in hellen Lichterscheinungen, welche die Nächte im Duisburger Norden mit einem rötlich schimmernden Himmel erleuchten. Wie lange wird die Stahlindustrie, der lebendige Mythos in Duisburg noch existieren?
Ein Blick in die Vergangenheit: Die Umwandlung von rotglühenden Stahlblöcken mittels Blockwalzwerk. Wer diese gewaltigen Kräfte, die enorme spezifische Geräusch- und Abdampfentwicklung solcher Block-Walzwerk einst gesehen hat, war im höchsten Maße beeindruckt durch die gewaltigen Kräfte, mit denen riesengroße Stahlblöcke zu Brammen umgeformt wurden. Heute geschieht diese Transformation aus der Schmelze direkt zur Bramme in Stranggieß-Anlagen, die nach außen hin unspektakulär und nahezu dampf- und geräuschlos ihre Dienste abliefern.
Die ehemals prägenden Industrielandschaften sind seit Jahren auf dem Rückzug, die Anlagen werden gesprengt, abgerissen und planiert, "plattgemacht" in der plastischen Sprache des Reviers. Warum diese Aggressivität im Umgang mit den Wahrzeichen der Vergangenheit? Kaum etwas erinnert heute mehr an die glorreiche Vergangenheit mit ihrer gigantischen Entfaltung der Produktivkräfte, mit der gewaltigen Leistung der Menschen, die das ganze Land nach zwei Kriegen wieder nach oben brachte. Der Mythos droht aus dem Bewusstsein zu verschwinden, weil nichts mehr außer einer kleinen verwitterten Tafel heute an die ehemaligen Giganten der Landschaft erinnert. Mit in jedem Fall großer bürgerschaftlicher Kraftanstrengung wurden nur an wenigen Orten des Reviers die Riesen der vergangenen Industrie im positiven Sinne quasi museal erhalten: Zeche Zollern, Zeche und Kokerei Zollverein, Hütte Hattingen und der Landschaftspark Duisburg Nord, hier liebevoll LaPaDu genannt.
Es gilt die Losung: Der Mythos Ruhrgebiet hat seine Zukunft auch im Erhalt seiner Industriedenkmäler.


5. Die Farben des Mythos

Farben sind unzerstörbar, hier hat der Mythos Ruhrgebiet seine physische Unsterblichkeit: Die Farben der Schwerindustrie sind die Farben des Mythos. Zuerst kommen Kohle und Koks, die Farbe ist Schwarz.
Heinrich Hauser titelt sein legendäres Foto- und Essaybuch 1930: "Schwarzes Revier".
Die Wertschöpfungskette der Eisenwerkstoffe spiegelt sich in verschiedenen Farben wieder: Als erstes haben wir das Rot der Schmelze des Roheisens und den etwas helleren Ton der Hochofenschlacke. Nach dem Transport des Roheisens mittels Torpedowagen zum Stahlwerk, in welchem die flüssige Roheisenschmelze in riesige Konverter eingefüllt wird, die dann, hoch aufgerichtet mit reinem Sauerstoff die Eisenschmelze reinigen, frischen. Hier reicht die Farbenskala von sonnenhell strahlendem hellgelb beim Frischen bis hin zum hellrot gefährlich spritzenden Stahlabguss.
Die Farben des Warmwalzens sind glühendrot, hingegen zeigt sich der im Kaltwalzwerk zu Automobilblech veredelte Stahlwerkstoff von metallisch glänzend bis zu mattgrau metallic changiert -je nach Verarbeitung.
Das Wasser als Lebensstoff mit seiner Symbolfarbe Blau bildet den kühlenden Gegensatz zu den vielen rötlichen Tönen der Roheisen- und Stahlerzeugung. Ohne Wasserkühlung würden die Hochöfen durch die Hitze des Schmelzprozesses durchbrennen.
Farben sind unsterblich. Durch ihre Symbolkräfte lebt der Mythos Ruhrgebiet immer weiter.

 

6. Manifestationen des Mythos

Die Mythen der Vergangenheit und Gegenwart des Reviers manifestieren sich vor allem in der Fotografie.
Parallel zur Industrialisierung entwickelte und etablierte sich die Fotografie als Medium der glaubwürdigen Dokumentation, der ästhetische Repräsentation, der Kunst und der Reflexion. Krupp nutzte die Fotografie bereits 1860. Immer mehr heute unbekannte Fotografen im Dienst der Industriebarone lichteten zunehmend im Laufe der Industrialisierung Produkte, Fabriken und die stolzen Eigentümer ab, doch schon bald kamen Fotografien der nicht minder stolzen Werktätigen hinzu.
In den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts wurde der fotografische Blick kritischer, sachlicher, und die Fotografen machten sich einen Namen.
Albert Renger-Patsch (1897-1966) ragte als Fotograf der neuen Sachlichkeit seit den 1920er Jahren hervor, seine strukturierten Aufnahmen der Industrie können aus heutiger Sicht als Wegbereiter der heute weltbekannten Becher-Schule gelten: Die Bechers gaben in ihrer Fotografie der Schwerindustrie der Welt, besonders aber dem Ruhrgebiet, ein dokumentiertes und gleichzeitig ästhetisches Gesicht, Gedächtnis und Testament.
Heinrich Hauser (1901-1955) begründete mit seinem sprachmächtigen Essayfotobuch "Das schwarze Revier" 1930 eine Tradition von humanistischer und emotionaler Fotografie, die von Chargesheimer (1924-1971) und Horst Lang (1931-2001) je eigenständig fortgeführt wurde. Heute ist die Zahl der Bildbände zum Ruhrgebiet unübersehbar.
Das Ruhrgebiet manifestiert sich auch in der Literatur, in den bildenden Künsten, in der Musik und auch besonders im Film, der Anteil der Schimanski-Serie im Fernsehen mit den chineastisch interessantesten Locations der Reviers in Duisburg, in welcher eine neue Art Kriminalermittler sich durch seine Fälle "schlägt".
Die Fotografie beinhaltet jedoch auf besondere Weise Emotion, Realität, Vergangenheit, Gegenwart und Antizipation und wirkt somit potenziell sowohl erkenntnis- als auch mythenbildend.

 

7. Mythos und Sündenfall

Viele Kulturen und Reiche, die vergingen, leben heute, neuerstanden aus Erinnerung, vom Tourismus.
In Berlin und Potsdam werden mit Millionen von Euro die baulichen Ikonen Preußens wiederhergestellt oder neu errichtet, so entstehen die Stadtschlösser in Potsdam und Berlin mit Millionenaufwand neu.
In unserer Zeit soll der NRW-Tourismus auch auf einem guten Wege sein, aber ist es so nicht ein Sündenfall, weitere Bauwerke der Industrie-Erinnerung abzutragen?
In vielen Städten des Ruhrgebiets gibt es schon lange keinen einzigen Hochofen mehr zu sehen, noch nicht einmal einen stillgelegten, seiner Nebengebäude beraubten kümmerlichen Rest. Warum wurde der letzte Hochofen der Gutenhoffnungshütte Oberhausen beseitigt, der von der B231 zu sehen war auf dem Weg von Duisburg über Oberhausen nach Essen? Er war nicht sehr groß, an gleicher Stelle ist heute, mindestens 30 Jahre später, immer noch nur ein Brachgelände übrig. Dort, wo August Sander und Albert Renger-Patsch Ikonen der Ruhrgebietsfotografie auf Silbergelatine bannten, später Wolf Strache in den fünfziger, Bernd und Hilla Becher und Horst Lang in den sechziger Jahren. Unterschiedliche Regisseure wie Veit Harlan (Der Herrscher, 1937), Helmut Käutner (Der Rest ist Schweigen, 1959) und Jean Chapot (Schornstein Nr. 4, 1966) haben an diesem Ort gedreht. Was früher "Gutehoffnungshütte" und von 1953 an HOAG (Hüttenwerke Oberhausen AG) hieß, diese Hochofengruppe von Thyssen war eine Sehenswürdigkeit. 1959 wurde hier der Hochofen A angeblasen, der sich bei einem Volumen von 1470 m³ 90 m in den Himmel reckte und bereits 1980 durch Sprengung beseitigt wurde, jedoch durch die Fotografie besonders der Bechers zur Ikone wurde.
Warum ließ ThyssenKrupp den Hochofen 4 in DU-Bruckhausen abreißen, das Symbol des Ruhrgebiets (Rheinische Post), das Fotomodell, die Industrie-Ikone, die Landmarke des Ruhrgebiets und Wahrzeichen der Technikgeschichte (Frankfurter Allgemeine) der in vielen Schimanski-Filmen so eindrucksvoll ins Bild kam, quasi ein Ikone im Film?
Warum wurde der Hochofen 8 in Ruhrort gesprengt? Bis heute ist auf dem weitläufigen Gelände des früherem Phoenix-Werkes (gegründet 1852) viel Platz, viel Brache, es ist an gleicher Stelle noch nichts Neues entstanden.
Warum soll bald der sehr massive Schlot der Sinteranlage Ruhrort-Meiderich als letzte überlebende Landmarke dieses ehemals so stolzen Phoenix-Werkes bald abgerissen werden, um dort den Landschaftspark zu erweitern? Es wäre doch viel sinnvoller, den Landschaftpark zu erweitern mit einem Wahrzeichen, das bestaunt werden kann. Diese Landmarke, dieser Schlot ist extrem massiv gebaut, und ihn abzureißen kostet viel Geld, das die öffentliche Hand in diesem Falle einmal gottseidank nicht hat. Daher ist es für den Erhalt noch nicht zu spät. Es gibt kein einziges Denkmal einer Sinteranlage und diese könnte zu einer Attraktion für den erweiterten Landschaftpark werden.
Jede Frage ein Klage, jede zu viel abgerissene Industrie-Landmarke ein Verlust, ein Sündenfall.
Erhaltung des noch wenig Verbliebenen sollte Vorrang vor Abriss haben.

 

8. Wirtschaft und Politik heute. Das Ende des Mythos?

Die ökonomische Situation des Ruhrgebiets ist aktuell alles andere als rosig. Im Laufe der letzten 40 Jahre sind hunderttausende Arbeitsplätze im Ruhrgebiet verloren gegangen, von 128 Zechenanlagen im Jahr 1959 sind noch drei Zechen geblieben, die bis 2019 geschlossen sein werden. Das wahrscheinlich mit PCB verunreinigte Grubenwasser hingegen muss aber noch "ewig" gehoben, gereinigt und abgeführt werden. Die Stahlindustrie, früher in fast allen Städten des Reviers durch entsprechende gewaltige Industrieanlagen präsent, existiert praktisch nur noch in der Stadt Duisburg mit dem Standortvorteil direkt am Rhein. In Duisburg wurden dennoch mindestens drei große industrielle Einheiten der Stahlindustrie stillgelegt, zwei wurden größtenteils abgerissen, einer wurde zum Landschaftspark. Symbolisch: Die Produktion von Schienen in Duisburg begann etwa 1898, sie endete im Jahr 2014, in der gesamten Bundesrepublik werden nun keine Schienen mehr produziert, obwohl doch Bedarf besteht.
Der sogenannte Strukturwandel verlangt den Menschen der Region alles ab, weil die in der Schwerindustrie verloren gegangenen Arbeitsplätze eben immer noch nicht durch andere aufstrebende Industrien oder Dienstleistungen neu geschaffen wurden. Der Tourismus kommt zu langsam in Gang, förderlich wäre eine Vermehrung der Orte zur Besichtigung des Mythos, und nicht das Gegenteil.
Zunächst als zukunftssicher angesehene Produktionsstandorte und damit Arbeitsplätze im Bereich Telekommunikation und Automobilproduktion (Bochum) wurden abgebaut. Hier hätte der früher belächelte Tourismus eine Chance, wenn es in Zukunft nicht weniger, sondern mehr Industriedenkmäler zu bestaunen gäbe.
Zusätzlich wurden das Land Nordrhein-Westfalen und insbesondere die Städte durch die neu gewonnene Einheit Deutschland ab 1989 durch Solidaritätsabgaben in Milliardenhöhe belastet. Dabei standen und stehen im Ruhrgebiet immer noch gewaltige Probleme auf der Tagesordnung bei der Transformation von einer enorm durch die Schwerindustrie geprägten Region zu einer Region mit neuen wirtschaftlich tragenden Strukturen. Dazu bedarf es gewaltiger Investitionen. Sollte das Projekt Emscher der deutschen Politik nicht Mut dafür machen?
Während man in den neunziger Jahren hierzulande gelegentlich noch optimistisch in die Zukunft blickte, so rückten nach dem Ende der euphorischen Internationalen Bauausstellung IBA Emscherpark 1990-2000 die negativen Schlagzeilen wieder in den Focus der Berichterstattung zum Ruhrgebiet.
Seitdem, so scheint es, verschärften sich die Probleme immer weiter bis zum heutigen Stand der Dinge. Die Städte der Republik, besonders die im Revier sind für ihre gewaltigen Aufgaben seit Jahrzehnten unterfinanziert. Der Volksmund spricht im typischen Ruhr-Klartext sogar von kommunaler "Pleite". Auch im Bildungsvergleich glänzen NRW und Ruhrgebiet nicht mehr. Die Aufbruchstimmung in Folge der Gründung von Gesamthochschulen und Kollegschulen (Johannes Rau als NRW Ministerpräsident und Herwig Blankertz als wissenschaftlicher Genius) ist verflogen wie ein Rausch. Heute ist eine Bildungsreform mit mehr Mitteln und besseren Strukturen notwendig. Notwendig ebenso eine Reform der Verwaltung des Landes, eine bessere Wirtschaftspolitik und eine stärkere europasichtige Interessensvertretung. Das Land NRW wird zunehmend als kraftlos empfunden, daran sollte sich etwas ändern lassen! Überfällige und sinnvolle Investitionen z.B. in Infrastruktur (Tourismus, ÖPNV, Straßen, Wege, Parks, Brücken, Flächenrecycling etc.), in Bildung und Berufsbildung in der Rhein-Ruhr-Emscher-Lippe-Region können von den Kommunen auf keinen Fall ohne zusätzliche Hilfe geschultert werden. Wer hilft nun dem Ruhrgebiet? Welche Maßnahmen sind noch zusätzlich notwendig? Die Diskussionen der Politik, vor allem zur Finanzierung ziehen sich unerträglich lange hin, und wenn erst ab dem Jahre 2020 die Bundes-Finanzpolitik den alten Industrierevieren einen neuen Stellenwert einräumen sollte, wird es vielleicht schon zu spät sein. Wahlbeteiligung, Armutsberichte, Arbeitslosenstatistik und die problematisch sich entwickelnde Immobiliensituation, insbesondere im Norden des Reviers, sprechen eine andere Sprache, nämlich die der Krise und der "Stupid Economy".

 


9. Mythos und Zukunft?

Der Mythos Ruhrgebiet hat gewaltige Schrammen abbekommen. Die Fragen: Was tun im Ruhrgebiet? Wer hilft nun dem Ruhrgebiet? müssen nun als nächstes mit Ideen beantwortet werden.

Die Risiken, aber auch die Chancen für die Zukunft sind beträchtlich, vor allem müsste die politische Zersplitterung des Reviers dringend überwunden werden. Gemeinsame Umsetzung von Förderung von Wirtschaftskraft und Verkehrsinfrastruktur über die Grenzen der einzelnen Kommune hinaus ist das Gebot der Stunde. Auch muss die Bundesrepublik endlich dazu die Kommunen mit nachhaltig genügend Finanzmitteln ausstatten.
Die Zukunft kann noch gut werden, wenn endlich die richtigen Maßnahmen ergriffen werden.

Dann mag es heißen: Der Mythos lebt weiter.